## Offener Brief an die Hamburger Behörden ##
Letzte Woche haben wir uns erneut mit klaren Worten und neuen Forderungen direkt per Mail an die Vertreter verschiedener Behörden gewandt. Denn obwohl uns zum 22.05.23 die Duldung für unseren bisherigen Standort genommen und gemeinsame Lösungswege versprochen wurden, ist diesbezüglich bis heute nichts passiert. Wir suchen daher erneut das Gespräch auf Behördenebene, um den bedürftigen Menschen dieser Stadt weiterhin eine niedrigschwellige und sichtbare Anlaufstelle bieten zu können. Denn ohne Gabenzaun, keine Basis für unsere Hilfen! Auf unsere Forderung gab es bereits Rückmeldung und einen Terminvorschlag; und so hoffen wir, bald zu einer beidseitigen und zufriedenstellenden Einigung zu kommen.
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Sehr geehrte Damen und Herren,
nun ist es bereits mehr als sechs Wochen her, dass uns die Duldung für die Betreuung obdachloser Menschen im Rahmen unserer „Zauntage“ zum 22.05.23 entzogen wurde. Dem vorausgegangen waren mehrere Gespräche mit unterschiedlichen Vertretern von Wirtschaftsbehörde, Sozialbehörde, Bezirksamt Mitte als auch Fördern & Wohnen. Um sich selbst einen realen Eindruck über unsere Arbeit und die Situation während unserer Anwesenheit zu verschaffen, haben schlussendlich sogar zwei Ihrer Vertreter bei unserem letzten Kontakt einen Tag bei uns verbracht. Beide waren äußerst beeindruckt, wie ruhig und gesittet es während der Zaunzeiten ablief und meinten verstanden zu haben, was die Zauntage von anderen Verteilungen unterscheidet.
Und wozu das Alles? In Zusammenhang mit den aktuellen „Säuberungen“, angeordnet von unserem Innensenator, – die offiziell natürlich weiterhin bestritten werden, um eine schlechte Presse zu vermeiden – sollten die Verteilungen zunächst unter dem Vorwand unerwünschter Zusammenrottungen untersagt werden. Als festgestellt wurde, dass dieses Argument nicht zieht, kamen Sie mit der „übermäßigen Vermüllung“. Auch dieses konnten wir nachweislich während und kurz nach unseren Zaunzeiten widerlegen. Dann kam wohl irgendwer auf die Idee, die Vertreibung mit anstehenden, zeitnahen Baumaßnahmen zu begründen (die vielleicht tatsächlich irgendwann einmal stattfinden werden.)
Und auch dies scheint nur ein Vorwand zu sein, um nicht die Wahrheit sagen zu müssen- nämlich, dass Sie die unerwünschten Personen (Bedürftige und deren Unterstützer) einfach vertreiben möchten - deren Schicksale Ihnen offenbar völlig egal sind! Stattdessen stellen Sie / Ihre Behörden und die neue Sozialsenatorin ihre wenigen Aktivitäten als großartige Leistungen dar, dass sogar andere Städte mit Neid auf das hiesige Hilfesystem blicken würden. Städte, die teils motivierter und erfolgreicher in der Obdachlosenarbeit sind als Hamburg.
Bisher haben wir dieses Versteckspiel / die Täuschung mitgemacht, da wir davon ausgegangen sind, dass Sie (die Beteiligten) wenigstens einen Funken Anstand haben und zu Ihren Ankündigungen stehen. Der Gabenzaun e.V. läge Ihnen nach eigenen Aussagen doch am Herzen …
Um es ganz klar auszudrücken: wir sind empört und enttäuscht über Ihr Verhalten und werden diesbezüglich nicht länger schweigen oder stillsitzen! WIR hatten unser Wort gehalten und unseren Betrieb mit sofortiger Wirkung eingestellt. Trotz uns Ihrerseits Planungssicherheit zugesichert wurde!
Doch in den letzten Wochen ist baulich jedoch nichts (!) passiert! Würden wir wie Sie agieren und hätten ihre Ankündigungen ignoriert, hätten wir problemlos noch „Social Days“ mit hiesigen Firmen und mehreren Schulklassen durchführen können, um die Problematik rund um die Wohnungs- und Obdachlosigkeit im Rahmen unserer Aufklärungsarbeit näherbringen zu können; hätten unsere grundlegende und niedrigschwellige Arbeit am Gabenzaun weiterführen und an die Strassensozialarbeiter und Einrichtungen weiter vermittelt können. Hätten die eingehende Post für die Gäste ausgeben und beim Einreichen von Unterlagen, Beantragen von Sozialleistungen und weiterem helfen können. Wir hätten weiter eine Anlaufstelle für Gestrandete sein können und noch so vieles mehr.
Denn UNS und den anderen ehrenamtlichen Aktiven sind diese Menschen, über deren Schicksal Sie entscheiden, nicht egal!
Doch ohne diesen Standort – keine niedrigschwellige Anlaufstelle! Und somit auch keine Basis für unsere, darauf aufbauende Obdachlosenhilfe.
Sie behaupten, der Gabenzaun e.V. läge Ihnen „am Herzen“ – und andererseits führen Sie uns so an der Nase herum. Denn nur uns, dem Gabenzaun e.V. wurde scheinbar seit dem 22.05.23 und bis dato die weitere Duldung untersagt. Und so müssen wir mit ansehen, wie andere Nutznießer ihr Angebot am Standort Gabenzaun weiter ausbauten, Spenden und sogar Geldspenden in unserem Namen annehmen. Unseren „Rückzug“ als Schwäche darstellen und uns vorwerfen, die Bedürftigen „im Stich“ zu lassen. Und zur guter Letzt, den guten und über die letzten Jahre aufgebauten Ruf des Gabenzauns aufs Spiel zu setzen.
Leider gingen wir - scheinbar blauäugig - davon aus, dass Sie auch den anderen Verteilergruppen, Organisationen, Freikirchen, Bollerwagenvereinigungen und Institutionen gleichzeitig mit uns die weitere Nutzung des Standortes untersagen würden. Unsere Fragen und Bedenken diesbezüglich blieben leider mehrfach Ihrerseits unkommentiert.
Der Heidi-Kabel-Platz wurde noch in derselben Woche von neuen Ehrenamtlichen eingenommen. Sogenannte Freikirchen boten unter teils gefährlichen Voraussetzungen Hilfen an. Andere Organisationen vergrößerten ihr wöchentliches Angebot von zwei auf vier Stunden oder grillten nach wie vor auf öffentlichem Weggrund, obwohl offenes Feuer eigentlich verboten sei. Auch die Vermüllung nahm deutlich zu. Da scheint nach zweierlei Maß gemessen worden zu sein.
Und hätte sich irgendwer auch nur einmal die Mühe gemacht, sich die von Ihnen vorgeschlagenen Alternativen vorher einmal anzusehen, hätten es sogar Sie es (hoffentlich) nicht gewagt, uns diese Vorschläge zu unterbreiten.
Ein Tunnel unter einer Bahnstrecke, der als Fixertreff dient, so laut ist, dass Sie teilweise kaum Ihr eigenes Wort verstehen und dermaßen nach Fäkalien stinkt, dass sie dort nicht einmal durchgehen möchten – hier sollten wir den Menschen die Möglichkeit geben, kurz zur Ruhe zu kommen und sich auch mal einen Rat zu holen? Wir hoffen, das war nicht wirklich Ihr Ernst.
CariCare – ein Ort für Kranke und Verletzte, wo kaum Platz für die Aktivitäten der dort Arbeitenden ist?
Und – last but not least – der Gertrudenkirchhof: umringt von Geschäften und gastronomischen Betrieben mit einer hübsch begrünten „Entspannungsoase“, einer Baustelle und direkt im Zentrum der „Aufräumaktionen“ durch behördliche und private Sicherheitskräfte – da wären unsere Gäste und wir sicher sehr willkommen gewesen.
Das sind also die Orte, die Ihrer Meinung nach für einen respektvollen Umgang mit Menschen, denen es sowieso schon schlecht geht, geeignet sind? Orte, wo wir emphatische junge Menschen motivieren, für andere da zu sein? Orte, wo wir den vom System abgewandten Menschen wieder neues Vertrauen, vor allem in sich selbst, schenken?
Immerhin können Sie mit gutem Gewissen sagen „WIR haben Vorschläge gemacht und können nichts dafür, wenn diese vom Gabenzaun e.V. abgelehnt werden“
Es herrscht ein allgemeines Unverständnis über diese kurz gedachte, scheinbar turnusmäßige Verdrängung der bedürftigen Menschen! Nicht nur bei uns oder den Gästen. Auch unter den nahen Hilfseinrichtungen, den Straßensozialarbeitern und den bürgernahen Beamten der umliegenden PKs. Selbst Ihre wertgeschätzten Touristen und in Hamburg ansässigen Firmen und Unterstützer des Gabenzauns schütteln mit den Köpfen, wenn sie sehen, wie die Stadt Hamburg mit ihren Ehrenamtlichen umgeht.
Ca. 1200 Menschen sorgen sich zusätzlich zum hiesigen „hochgelobten“ Hilfesystem um die bedürftigen Menschen. Uns müsste es alle nicht (!) geben, wenn dieses System tatsächlich so gut ist, wie die neue als auch schon die ehemalige Sozialsenatorin in ihren Pressemitteilungen behauptet.
Wir fordern Sie daher auf, endlich zu Ihren Ankündigungen zu stehen und sich aktiv an der Suche nach GEEIGNETEN und gleichwertigen Standorten für uns und andere Unterstützer zu beteiligen. Oder uns weiterhin (!) und wie bisher den Standort am Heidi-Kabel-Platz für unsere niederschwellige Arbeit zu überlassen.
Bis dahin erwarten wir eine sofortige Erneuerung der Duldung für unsere Hilfsangebote an diesem Standort oder Einräumung eines alleinigen Sondernutzungsrechtes.
Suchen Sie erneut das Gespräch und hören Sie zu! Ändern Sie Ihre vorgefertigte Meinung gegenüber bedürftigen Menschen und begegnen auch ihnen gegenüber mit Respekt und Anstand. Und gewähren Sie den engagierten Bürgern Ihrer Stadt ihren Gabenzaun. Wussten Sie eigentlich, dass der Hamburger Gabenzaun Vorreiter vieler bundesweiter Gabenzäune ist und diese Art der Hilfe selbst von unserem Bundespräsidenten, Herrn Steinmeier, als großartiges Angebot für Bedürftige gelobt wurde? Selbst Studierende der Stadtplanung und Entwicklung beschäftigen sich mit der Thematik rund um die Gabenzäune.
Wir behalten uns vor, dieses Schreiben als „offenen Brief“ zu gestalten und ebenso auch auf unsere Plattformen zu stellen und verbleiben mit freundlichen Grüßen,
Ihr
Hamburger Gabenzaun e.V.